Während der dreijährigen Ausbildung hatte er erstmals Kontakt mit dem Bezirkskrankenhaus. Es ist direkt an das Klinikum angegliedert und über dessen Haupteingang zu erreichen, hat aber eine eigene Führung und Trägerschaft. Durch die enge Zusammenarbeit der beiden Häuser kam Christian Lesser für sechs Wochen auf die Suchtstation. „Dort habe ich ein anderes Arbeiten in der Pflege kennengelernt. Ein Arbeiten, das darauf ausgerichtet ist sich für den einzelnen Menschen Zeit zu nehmen und ihn ganzheitlich zu betrachten. Deswegen war für mich klar: Ich gehe nach der Ausbildung ans BKH.“
Das Bezirkskrankenhaus Kempten, ein modernes Gebäude mit Blick auf die Berge, umfasst neben diversen ambulanten Angeboten sechs Stationen mit etwa 120 Betten. Rund 250 Menschen sind hier beschäftigt: Ärzt:innen, Therapeut:innen und Pfleger:innen in den Bereichen Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. „Das Besondere ist: Wir arbeiten total auf Augenhöhe in sehr flachen Hierarchien. Als Auszubildende fanden wir es schier unglaublich, dass man einen Oberarzt einfach so etwas fragen konnte, das kannten wir nicht. Noch immer nehme ich das Umfeld als extrem wertschätzend wahr.“
Keine Behandlung nach Schema F
Auf die Frage, was für ihn so spannend ist an der Arbeit mit psychisch Kranken, antwortet Christian Lesser ohne nachdenken zu müssen: „Das Verschiedene. Bei einem gebrochenen Arm gibt es je nach Fraktur ein klares Standard-Vorgehen. Bei uns dagegen ist jeder Fall anders und kaum prognostizierbar. Oft werden verschiedene Medikamente und Therapien ausprobiert. Und wir sehen sehr unterschiedliche Entwicklungen. Menschen, die neu kommen, reden oft nicht mit uns, weil sie eigentlich nichts von uns wissen wollen und es schlimm finden da sein zu müssen. Nach ein paar Tagen oder Wochen wird der Kontakt weicher, die Leute lassen mehr zu. Dann kann man mit ihnen Fußball spielen, spazieren gehen und über ganz normale Themen reden, weg von der Krankheit. Und wir können Alltagstraining machen, etwa gemeinsam kochen inklusive einkaufen, schnippeln, abwaschen und zusammen essen. So etwas zu begleiten ist toll.“
Ein ganz besonderes Erlebnis für ihn selbst war die Ernennung zur Stationsleitung vor knapp drei Jahren. „Ich habe mich wahnsinnig gefreut, vollumfänglich die Verantwortung für die etwa 20 Mitarbeitenden in der Pflege zu übernehmen – auch wenn das jetzt deutlich mehr Organisation bedeutet als zuvor. Früher war die Arbeit näher am Patienten. Außerdem habe ich in drei Schichten gearbeitet und hatte dadurch gefühlt mehr frei.“ Jetzt hat Christian Lesser immer Tagdienst und begleitet die Visiten. Außerdem kümmert er sich um die Dienstpläne, die in der Regel vier bis sechs Wochen vor Monatsbeginn fertig sind und stets möglichst viele Wünsche der Kolleginnen und Kollegen berücksichtigen.