Kühe im Stall fressen Heu
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Allgäu Gmbh, Andi Mayr

Winterruhe im Stall

Mensch und Tier halten jetzt Winterruhe. Doch von Langeweile keine Spur! Arbeit gibt es immer genug, während Kühe, Kälbchen und Jungvieh kiloweise duftendes Bergwiesenheu futtern. Diese staade Zeit in den kalten Monaten ist ebenso wichtig für viele Allgäuer Familienbetriebe wie der Alpsommer. Ein Besuch auf dem Hislar Hof im gar nicht so warmen Kuhstall.

    Oberstdorf. Zwischen Berg und Tal hängen Reste von Nebelschwaden über Oberstdorf, die Sonne bahnt sich heute nur langsam ihren Weg. Matt scheint sie auch in den Stall am Hislar Hof, der überraschend luftig und hell ist. Große klare Fensterscheiben lassen viel Licht hinein. Wenn es die Temperaturen erlauben, werden die Fenster per Knopfdruck ein Stück nach unten gefahren. „So können wir gut lüften. Und wir schauen bei der Arbeit vom Grünten bis zur Trettachspitze in die Berge“, freut sich Vinzenz Schraudolf. Der 58-jährige Landwirt bewirtschaftet den Hof am Karatsbichl gemeinsam mit seinem Sohn Ludwig (30).

    Hislar Hof in verschneiter Landschaft
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    Blick durchs Fenster in die verschneite Landschaft mit Fichten und Berg
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    Inmitten von weiten Wiesen, die jetzt vom Schnee zugedeckt sind, liegt der Hislar Hof am Karatsbichl. Der neue Stall ist groß, hell und luftig.

    Im Frühjahr und Herbst sind ihre Kühe, Kälbchen und Jungvieh auf den Weiden rund um den Hof, im Sommer auf den Alpen um Oberstdorf. „Im Spätherbst wollen sie dann gar nicht mehr unbedingt ins Freie. Man merkt, dass sie langsamer und träger werden“, erzählt der Senior. Denn die Tiere spüren: Der Winter kommt, und mit ihm die Ruhe. Und genau so ist die Atmosphäre jetzt im Stall: ruhig und friedlich. Manchmal ertönt ein Muhen, mal ein lauteres Schnaufen, die Halsbänder klappern. Zufrieden kauen die Kühe ihr Heu wieder, das sie morgens, mittags und abends bekommen. Gleich am Eingang begrüßt uns Tini, sie ist mit ihren elf Jahren die älteste Kuh im Stall. Die anderen stehen in Reih und Glied in Freianbindung, jeder Fressplatz ist mit 1,25 Metern Breite im Vergleich zu anderen Ställen wirklich groß. Die beweglichen Gurtbänder lassen den Tieren viel Spielraum. Mal stibitzt man Futter von der Nachbarin, mal schleckt man zärtlich ihre Stirn ab. Immer wieder streckt eine ihren Kopf hinaus in den Gang und will gekrault werden. Das Jungvieh hat seine Bewegung im Laufstall gegenüber. Auch die Kälbchen haben viel Platz, es wirkt fast wie in einem Kindergarten. „Wir hängen ihnen immer wieder Spielzeug auf, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen“, meint Ludwig und lacht. Zudem gibt es eine abtrennbare Abkalbe-Box, damit die Kühe ihre Kälber ohne Störung zur Welt bringen können. Von Ende September bis in den April hinein ist auf dem Hislar Hof die Zeit für Nachwuchs, denn den ganzen Sommer über sind die Tiere allesamt ja wieder auf den Alpen.

    Drei junge Kälbchen liegen im Stall im Heu
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    Stall mit Heu am Boden und gelagerten Heuballen
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    Von Ende September bis April kommen auf dem Hislar Hof die Kälbchen zur Welt, danach geht's in die Berge. „Ist unser gesamtes Vieh auf den Alpen, müssen wir abends nicht pünktlich im Stall sein. So können wir uns auf die Bewirtschaftung unserer Flächen konzentrieren, die viel Handarbeit erfordern“, erklärt Ludwig.

    Auch die Schraudolfs hatten über den Bau eines Laufstalls nachgedacht. Das Projekt wurde geplant und wieder verworfen – zu groß, zu teuer. 2021 entschied sich  Ludwig mit seinen Eltern, bei der bewährten Kombinationshaltung zu bleiben und an den alten Stall anzubauen. Das neue Gebäude hat nun eine Länge von 46 Metern und ist an die 25 Meter breit. Statt vormals rund 20 Stück Vieh sind es derzeit 19 Milchkühe in moderner Anbindehaltung, 20 Stück männliches und weibliches Jungvieh sowie 14 Kälbchen. „Wir freuen uns jeden Morgen aufs Neue, wenn wir in unseren schönen, luftigen Stall kommen“, sagt Vinzenz. „Auch für uns war das anfangs eine Umstellung, aber mittlerweile sind wir abgehärtet.“ Denn im Winter ist es kühl im Stall, zwischen 0 und fünf Grad so wie heute. Sinken die Temperaturen allerdings im Freien unter minus fünf bis minus zehn Grad – die Nähe der Stillach macht sich bemerkbar –, wird das Wasser im Stall erwärmt. Die Kühe jedoch stört die Kälte nicht. Sie stehen oder liegen entspannt auf ihrer Einstreu, schauen uns neugierig an und fressen weiter.

    Kühe im Stall fressen Heu
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    Jetzt ist wieder Leben im Stall. Nach rund 210 Tagen auf der Weide genießen die Kühe nun zufrieden ihre Winterruhe. Ihr liebster Zeitvertreib: das nach Sommer duftende, kräuterreiche Bergwiesenheu futtern. 20 bis 22 Kilo Trockenmasse (Heu) verschlingt eine Kuh pro Tag.

    Futternachschub kommt aus dem Heulager: In luftiger Höhe sechs Meter über uns fährt Vinzenz mit dem Heukran in die Mitte des Stalls, lässt den Greifarm hinab und lädt einen Haufen frisches Bergwiesenheu direkt vor unserer Nase ab. Und vor der Nase von Tilda, die sofort den Kopf lang streckt, um ein paar Blättchen mit ihrer Zunge zu erwischen. „Hast du schon wieder Hunger?“, meint Ludwig schmunzelnd und streicht der Kuh fest über den Kopf. Er nimmt eine Handvoll Heu, das herrlich nach Sommer, Sonne und Kräutern duftet: „Da sind ganze Blätter und Stengel drin, das ist beste Qualität“, sagt er stolz. Jetzt das selbst geerntete Heu verfüttern zu können, ist der Lohn für das fast alltägliche – und mitunter auch anstrengende – Hoiben in den Sommermonaten. 43 Hektar Land bewirtschaften sie, davon werden 26 Hektar extensiv genutzt. Das bedeutet: Während des Sommers wird nicht gedüngt, es gibt weniger Grasschnitte und dadurch weniger Futter je Fläche.

    Im Stall holt ein Kran frisches Heu aus dem Lager.
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    Der Bauern verteilt das Heu gleichmäßig im Stall, Kühe recken ihre Köpfe zum Heu
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    Die Decke aus hellem Holz macht den Stall gemütlich. In luftiger Höhe holt Vinzenz mit dem Kran frisches Heu aus dem Lager. Den breiten Mittelgang laufen Vater und Sohn zig Mal auf und ab, um das Heu gleichmäßig zu verteilen. Auf dem geglätteten Betonboden rutscht es besonders gut. Der Festmist wird ausgemistet, der Liegeplatz frisch eingestreut.

    Die Arbeit im Winter ist nicht unbedingt weniger, aber anders. Um 5.15 Uhr klingelt der Wecker, keine zehn Minuten später sind Vater und Sohn im Stall. Um kurz vor 7 Uhr fährt Ludwig nach Oberstdorf, wo er als Schreiner arbeitet. Abends steht er wieder im Stall. Sein Vater Vinzenz erledigt tagsüber die anfallenden Arbeiten: das Vieh füttern und misten, Schnee räumen, Holz machen im eigenen Wald für die Hackschnitzelheizung, Maschinen pflegen, die Schellen für den Alpsommer putzen, Reparaturen an Haus und Hof, viel Büroarbeit für die Dokumentation. Mutter Lisl hilft mit und versorgt noch die drei Ferienwohnungen. Fünf bis sechs Stunden sind sie jeden Tag im Stall, der blitzblank sauber ist. „Durch die Anbindehaltung sind wir viel näher am Vieh und sehen auf einen Blick, ob es allen gut geht. Wir melken unsere Kühe und striegeln sie zweimal am Tag. Sie sind an Menschen gewöhnt, was auch im Sommer auf der Alpe von Vorteil ist. Außerdem tränken wir unsere Kälble, was die Bindung für später festigt“, erzählt Ludwig.

    Bunte Karten für jede Kuh hängen sind an einer Holzwand den jeweiligen Boxen zugeordnet.
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    Ludwig Schraudolf mit Melkzeug
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    Zilly, Frieda, Lore, Tilda, Hanni und Nanni … jedes Tier hat einen Namen und darf seine Hörner behalten. Morgens und abends ist Melkzeit. Während dieser guten halben Stunde sitzt Ludwig mitten zwischen seinen Kühen. Man spürt die Zufriedenheit von Mensch und Tier.

    Jedes Tier bekommt einen Namen, von der Geburt bis zur Schlachtung bleiben Kühe und Kälbchen auf dem Hislar Hof. Vier Kälbchen pro Jahr sind für die Nachzucht der Milchkühe bestimmt, der Rest wird gemästet. „Auch wenn der Gang zum Schlachthaus in Oberstdorf nicht der Schönste ist, so gehört er dazu“, meint der 30-Jährige. So wie Milch und Fleisch zusammen gehören: Über persönliche Kontakte vermarkten die Schraudolfs ihr Fleisch überwiegend an die Gastronomie. Im Winter liefern sie die frisch gemolkene Heumilch an die Schönegger Käsealm, in den Sommermonaten wird sie auf den Sennalpen zu Bergkäse verarbeitet. Noch aber liegt der Alpsommer in weiter Ferne, noch bedeckt Schnee die Weiden. Die Sonne verschwindet langsam hinter den Oberstdorfer Bergen. Drinnen heißt es: misten, melken, füttern, Feierabend. Nach getaner Arbeit löschen Ludwig, Vinzenz und Lisl das Licht, ihre Kühe legen sich schlafen. Winterwarm geborgen im Stall.

    Drei Mitglieder der Familie Schraudolf in ihrem Stall mit Kühen und Heu
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    Bergbauern mit viel Herzblut und Leidenschaft: Ludwig Schraudolf bewirtschaftet den Hof in vierter Generation zusammen mit seinen Eltern Vinzenz und Lisl. Auch Opa Leo (83) hilft bei der täglichen Arbeit. Wenn es brennt, packen außerdem Ludwigs Zwillingsschwester Agnes mit ihrem Freund und der Onkel mit an.

    Kühe im Stall
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    Körperkontakt erwünscht: Kühe in Anbindehaltung sind sehr sozial und gut an Menschen gewöhnt. Ihr Vertrauen erleichtert die tägliche Arbeit im Stall und auf der Alpe.

    • Alpenraum ohne Bergbauern – geht nicht!

      Wie Familie Schraudolf setzen viele kleinbäuerliche Höfe im Oberallgäu auf die bewährte Kombinationshaltung. Vom Frühjahr bis in den Spätherbst hinein sind die Tiere auf der Weide, im Winter an ihrem Ruheplatz im Anbindestall. Sollte dies nicht mehr möglich sein, hat das weitreichende Folgen. Etliche Betriebe, die für einen großen Laufstall weder Platz noch finanzielle Mittel haben, würden aufgeben. Damit würde aber auch die Landschaftspflege – und mit ihr die artenreiche Flora und Fauna im Berg – verloren gehen: Viele Wiesen, die aufgrund ihrer Hanglage nicht gemäht werden können, sondern als Weide genutzt werden, würden zuwachsen und verbuschen. Sattgrüne Berg- und Streuwiesen mit grasenden Kühen – das Markenzeichen des Allgäus funktioniert nur Hand in Hand mit der sanften Bewirtschaftung der (Berg-)Bauern.

    Ein Kälbchen im Stall mit frischem Heu
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    Das duftet nach Sommer! Der Hislar Hof ist ein reiner Heumilchbetrieb.

    Kuh mit Hörnern von der Seite
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    Alle Kühe der Schraudolfs tragen Hörner.

    Der Laufhof im Schnee neben dem Stallgebäude
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    Wenn es das Wetter und die Bedingungen zulassen, geht’s regelmäßig hinaus auf den Laufhof.

    Eine Kuh im Stall mit Heu, sie scheut direkt in die Kamera
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    Neugierig? Die Kühe der Schraudolfs sind von Geburt an Menschen gewöhnt und scheuen sich nicht.

    Kuh im Stall, ein Streifen Sonnenlicht fällt auf ihr Fell
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    Die Kühe genießen die Ruhe im Stall, während draußen der Schnee die Weiden bedeckt.

    Nahaufnahme der Dreianbindung, mit der die Tiere im Stall mehr Bewegungsfreiheit haben
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    Die „Freianbindung“ ermöglicht den Tieren mehr Bewegungsfreiheit.

    Melkzeug im Hislar Hof
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    Auf dem Hof wird zweimal täglich mit dem Melkzeug gemolken.

    Gelagerte Heuballen
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    Das im Sommer eingebrachte Heu dient den Tieren im Winter als Futter.

    Der Bauer macht die Bürste sauber, mit der die Kühe gepflegt werden.
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    Mit Striegel und Bürste werden die Tiere regelmäßig gepflegt: Die Kühe genießen die Fellpflege, Staub und Dreck setzen sich so erst gar nicht richtig fest.

    Blick aus dem Fenster auf den Laufhof und die verschneiten Oberstdorfer Berge
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    Direkt vor dem Stall befindet sich der Winterauslauf.

    Zwei Kühe im Vordergrund, im Hintergrund wird der Stall ausgemistet.
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    Das Misten gehört wie das Füttern und Melken zur täglichen Stallarbeit dazu.

    Schilder an der Hofwand weisen auf die Partner des Hislar Hof hin.
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    Im Winter liefern die Schraudolfs ihre Milch an die Schönegger Käse-Alm. In den Sommermonaten wird sie auf den Sennalpen zu Bergkäse verarbeitet.

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    Silke Lorenz

    Die Autorin

    Silke Lorenz

    Von Franken über Niederbayern und Baden ins Allgäu, von Tageszeitungen und Verlagsarbeit über Frauenmagazine zur freien Journalistin: Seit über zehn Jahren bin ich jetzt im Oberallgäu daheim und entdecke immer aufs Neue tolle Menschen, alte Handwerkskünste, faszinierende Orte – und immer wieder sprachliche Schätze im Allgäuer Dialekt, die mein Germanisten-Herz erfreuen :-). Ich hoffe, Sie haben genauso viel Spaß beim Lesen meiner Geschichten wie ich beim Recherchieren derselbigen. Frohes Schmökern!