Wilde Riesenhörner: Nur Mutige stürzen sich beim Schalengge-Rennen in Pfronten den Berg hinunter
Ein Erlebnisbericht von Ingrid Rösner
Ein Erlebnisbericht von Ingrid Rösner
Da sitzen sie so brav auf ihrem Schlitten: Clara Geiger und Marcella Sauer aus Pfronten. Dieses Bild täuscht. „Omas Föhla“, wie sie sich als Team nennen, sind vogelwild. Sie sausen so halsbrecherisch und wagemutig auf einem Hörnerschlitten den Berg hinunter, dass einem allein vom Zuschauen schwindelig wird. Die beiden sind ein eingespieltes Gespann und sie fahren meist ganz vorne mit, auch Platz 1 bei den Damenteams haben sie schon ergattert, obwohl sie vorher nicht trainieren.
1000 Meter Strecke und 200 Höhenmeter geht es in wenigen Sekunden nach unten – ohne Lenkrad oder gar mechanische Bremsen! Hier lenkt Marcella vorne das Gefährt mit den Füßen, Clara hilft hinten durch Gewichtsverlagerung mit und bremst auch ab. Warum um Himmels Willen machen die beiden so was? „Das macht einfach Spaß“, meint Marcella und lacht. Mit 16 Jahren war sie das erste Mal dabei – das Mindestalter für die Teilnahme. Gibt es ein Geheimrezept? „Am besten ist, wenn man sich keinen Kopf macht und einfach losfährt.“ Noch ein Tipp? „Als Stärkung nehmen wir in unserem Rucksack immer Krautkrapfen, Bier und Schnaps mit hoch an den Start.“ Aha!
Beim Schalengge-Rennen in Pfronten, das als eines der traditionsreichsten in Bayern gilt, dürfen nur originale oder nachgebaute Hörnerschlitten starten. Und der sollte so aussehen
Marcella Sauer gehört zu einer „Schalengge-Familie“ – wahrscheinlich wird die Fahrkunst weiter vererbt. Die ganze Verwandtschaft ist mit dabei, wenn traditionell am Faschingssamstag in Kappel die große Gaudi steigt. „Ein Feiertag“, meint Marcella, „da nimmt sich keiner etwas anderes vor.“ So trifft sich die Familie zuvor immer zu einem gemeinsamen Weißwurstfrühstück. Neben Schwester, Bruder, Cousins und Cousinnen, ist auch ihr Papa Biba mit von der Partie. Als Kappeler fährt er bei den sogenannten Originalen mit. In heimischer Tracht und mit beladenen Schlitten zeigen diese, wie bis in die 1960er Jahre im Winter Heu und Brennholz vom steilen Berg geholt wurde. Eine beschwerliche und nicht ganz ungefährliche Arbeit. Letztes Jahr war Marcella an der Hand verletzt und ist bei ihrem Papa hinten auf dem Schalengge mitgefahren.
Zentrale Person in der Schalengge-Familie ist Marcellas Oma Hanne Allgayer. Ohne sie geht nichts beim Hörnerschlitten-Rennen in Pfronten. Seit über 22 Jahren ist sie Vorsitzende des Kappeler-Schalengger Vereins und organisiert mit den rund 130 Mitgliedern den Wettstreit: „Da ist viel Schreibkram dabei“, meint sie, „wie sich um Versicherungen und GEMA-Anmeldung kümmern, aber auch die Bahn für das Rennen vorbereiten. Da sind keine Maschinen im Einsatz, alles wird mit Schaufeln und Füßen präpariert.“
Ihr ist es wichtig, dass die Tradition des Rennens, das in den 1970er Jahren begann, erhalten bleibt und auch die Erinnerung daran, wozu die Schalengge früher genutzt wurden. Sie war selbst beim Heumachen im Sommer auf dem Berg und dokumentiert alles rund um die Schalengge.
Hanne Allgayer mag am Rennen, dass es wie ein großes Treffen ist, weil sich fast alle Teilnehmer untereinander kennen. Es waren auch schon Teams aus Spanien, den USA und sogar aus Japan dabei. Insgesamt starten meist um die 200 Männer- und 20 Frauenteams. Geistliche und politische Prominenz aus dem Ort schaut nicht zu, sondern fährt selbst mit. Ehrensache!
Das schönste Moment für Hanne Allgayer ist aber, wenn auch der letzte Teilnehmer heil im Tal ist. „Dann kann ich endlich aufatmen“, meint sie. Zusammen mit Marcella bereitet sie das „Häs“ für das Rennen vor. Manche kommen faschingsgemäß verkleidet, andere fahren mit Lederhose oder alter Tracht.
Für jeden ihrer 15 Enkel hat die Oma Gamaschen gestrickt und Marcella schwört zudem auf ihre Glücksmütze, die sie immer beim Rennen trägt.
Jetzt fehlen nur noch die zwei Familienschlitten, die müssen erst mal aus dem Holzstadel von ganz oben geholt werden.
Die Schlitten kommen erst mal in den Garten. Dort werden sie mindestens 14 Tage zuvor eingegraben, damit das Holz sich an die Temperatur gewöhnt und Feuchtigkeit aufnimmt. Noch so ein Trick also, den man wissen muss.
Mal sehen, wo die vogelwilden Föhla dann dieses Mal landen...
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