Das Haus, in dem die Storls leben, ist rund 400 Jahre alt. Die Balken, die hier verbaut wurden, stammen aus dem Zeitalter, als es noch keine Maschinen gab. Grob verarbeitete, überdimensionierte Tragwerke. Wolf-Dieter Storl führt uns eine breite Treppe hinauf, zeigt uns die in einem Zimmer liegenden Welpen seiner Hündin Kira, und bittet uns dann in sein Arbeitszimmer. Ein Raum wie die perfekte Filmkulisse für einen Waldgelehrten. Überall Bücher. In Regalen, in Stapeln, auf Tischen und Stühlen. Ein von Büchern zugewucherter Schreibtisch mit einem 27-Zoll iMac. Christine Storl serviert Kaffee und die ersten Spekulatius des Jahres. Während ihr Mann erzählt, wie er als Kind mit deutscher Herkunft nicht gut genug war für das Baseball-Spiel und dann irgendwann über den Zaun kletterte hinaus in die Wildnis des Mittleren Westens, in den seine Eltern damals ausgewandert waren. „Meine Mitschüler hielten mich für crazy“, lacht der Mann mit dem Druiden-Bart. „Aber ich entdeckte eine neue Welt, kletterte auf Bäume, schlief im Wald, lernte die Pflanzen kennen. Und begann darüber zu schreiben. Schon in der Schule musste ich meine Aufsätze immer vorlesen. Ich glaube, wir haben unsere Begabung nicht von ungefähr. Es hat mit unserer Lebensaufgabe zu tun.“
Ihm missfällt das mechanistische Weltbild der Botanik
Wolf-Dieter Storl wollte Botanik studieren, um mehr von den Pflanzen zu verstehen. Aber mit dem „mechanistischen Weltbild“ der Wissenschaften konnte er nichts anfangen. Er interessierte sich nicht für die Leistung der Kapillaren, dass eine Buche mehr Wasser zieht als eine Eiche, nicht für Wirkstoffanalysen. Er begann zu reisen, trampte rastlos durch die USA. Bis ein Freund sagte: Anthropologie – das ist dein Ding. „Und es stimmte. Diese Mischung aus Ethnologie und Kulturwissenschaften fasziniert mich.“ In Mexiko, in Indien und bei den Cheyenne-Indianern lernte er ein anderes Weltbild kennen. „In unserer Kultur sind Pflanzen eher Gegenstände. Die Cheyenne halten Pflanzen für die Manifestation hoher geistiger Wesenheiten. Wenn sie eine Heilpflanze brauchen, wendet sich der Medizinmann an den Häuptling einer Pflanzengruppe, an den Geist der Pflanze, und bitten um Erlaubnis.“