Kuhhintern, Traumstraßen, Glück – unsere Allgäu-Radtour
Erlebt und erfahren von Susanne Baade (Fotos) und Dirk Lehmann (Text)
Erlebt und erfahren von Susanne Baade (Fotos) und Dirk Lehmann (Text)
Pin-Ups für Rennradler: eine Sammlung schöner Straßen-Fotos nennt man “Roadporn”
Wir? Eine Fotografin und ein Autor aus Hamburg, zwei erfahrene Reisejournalisten, die schon manche Stempel in den Reisepässen haben, und ihrer Sammlung an Länderpunkten einen neuen hinzufügen wollen – das Allgäu. Doch dann hat ER eine verrückte Idee: Lass uns eine Radtour machen. Und SIE fragt: Bist du wahnsinnig? Wie wir dann trotzdem los fuhren und einen wunderbaren Tag erlebten…
Lustfaktor: Das Rennrad wirkt klein, wird angepasst, und dann ist der Spaß groß
Und ist er nicht sogar ein wenig aufreizend? Oder steckt hinter dieser Interpretation doch nur der krude Humor eines matten Radlers? Wahrscheinlich. Denn jetzt bleibt die Kuh unvermittelt stehen, hebt den Schwanz, und es bedarf eines beherzten Manövers, um zackig an dem Hinternis vorbei zu zirkeln. Dann schießt das Rad bergab, verlässt über die Dorfstraße von Grän das Tannheimer Tal, und es geht durch den Pfrontener Wald zurück nach Deutschland. Wo unsere Radtour in einer halben Stunde enden wird.
Zugegeben, ich fange diese Geschichte nur von hinten an wegen der Sache mit dem Kuhhintern. Dabei geht es gar nicht so sehr um postpubertäre Po-Scherze. Sondern um die Besonderheiten einer Allgäu-Radtour. Dass man sich als Norddeutscher hier mit Steigungen auseinandersetzen muss, die höher hinauf führen als die geliebte Anfahrt zum Fernmeldeturm von Neverstaven auf dem immerhin 77 Meter (!) hohen Klingberg, das war zu erwarten. Doch die Vorfreude auf knackige Anstiege wurde bei weitem übertroffen von der Schönheit einer von Bergen gesäumten Landschaft, durch die sich verblüffend ebene, dafür aber meist perfekt asphaltierte Sträßchen winden. Und der einzige Stau, den wir radelnden – vulgo leidgeprüften – Großstädter zu beklagen hatten, wird schließlich der mit der Kuhherde sein.
Spaßmaschine: E-Mountainbike mit 29-Zoll-Rädern und starken Motor
Radtour ohne Grenzen: von Allgäu ins Tannheimer Tal und zurück – ein Genuss
Ich bin begeisterter Rennradfahrer. Allerdings ist zur Zeit meine Begeisterung größer als meine Kilometerleistung. Mal passte das Wetter nicht, dann das Arbeitsaufkommen. Und als klar war, dass Susanne und ich ein paar Tage am Stück im Allgäu sein würden, habe ich ihr vorgeschlagen, eine Radtour zu machen. Sie sagte: Niemals. Ich entgegnete: Und wenn wir dir ein E-Bike besorgen. Und Susanne sagte: Lass es uns probieren.
Beim Fahrradverleih in Pfronten erleben wir dann erstmal Welt verkehrt. Susanne bekommt einen Ackergaul von einem E-Mountainbike – mit 29 Zoll Laufrädern und 400 Watt starken Motor. Ich erhalte einen zierlichen Orbea-Rennrad, an den man die Sattelstütze extrem weit aus dem Rahmen ziehen muss, damit meine langen Beine sinnvoll ihre Arbeit verrichten können. Doch die Vorfreude überwiegt, und so stopfen wir die Räder in den VW-Bus, der uns an den Startpunkt der Tour bringen soll.
Panorama bei Schattwald: Kirchlein, Gipfel und ein Kerl in Funktionskleidung
Ein Herbst zum Verlieben: Käsespätzle und Kräuterlimonade bei einer Pause genießen
Alle Strecken seien gut ausgeschildert. Und so fahren wir am Grüntensee vorbei, folgen dem Flüsschen Wertach, bis wir den gleichnamigen Ort erreichen. Von da geht es über stille Straßen mit extrem wenig Verkehr und kaum nennenswerten Steigungen durch einen milden Herbsttag. Wir werden oft gegrüßt, lächeln zurück, genießen die Tour, bis wir kurz vor Jungholz in ein Dilemma geraten: Die ruhige Nebenstraße endet, wir folgen der Hauptstraße, bis uns plötzlich ein Radfahrer-verboten-Schild die Weiterfahrt verwehrt. Nur ein Waldweg neben der Straße steht auch Radlern zur Verfügung. Für Susanne auf dem Mountainbike kein Problem. Für mich und den nervösen Orbea-Racer keine Option. Und wir fahren ein paar verbotene Kilometer. Bis wir endlich die Bundesstraße verlassen können.
Der Abstecher durch Jungholz hat es in sich. Beim Anstieg zum Dorf erfahre ich die erste Demütigung: Während ich mich keuchend im Wiegetritt hinaufkämpfe, surrt Susanne silberhell kichernd an mir vorbei. Und wartet oben – mit sichtbarem Triumph im Gesicht. Sie wird noch weitere Momente dieser Art haben. Bis wir vor einem ungewöhnlichen Warnschild stranden: Achtung, 20 Prozent Steigung!
Asphalt-Cowboy: In vorbildlicher Untergriff-Haltung geht es in den Kuh-Stau
Und selbst Susannes Gaul, der sonst ständig voran stürmt, verweigert die Rampe. So fahren wir kurzerhand auf der ruhigen Landstraße weiter, kommen über Oberjoch und Schattwald nach Tannheim, wo wir eine Portion Käsespätzle bunkern. Und rollen bei der Fahrt durch den Pfrontener Wald umso schneller auf ein Dutzend Kuhhintern zu, die die Landstraße blockieren.
Das Leben ist eine lange Radreise. Mal strampelt man sich kaputt und kommt kaum voran, mal saust es nur so dahin, und die Lust am Tempo ist größer als die Angst vor dem Sturz. Mal geht es nicht weiter, dann kommt die Lust am Slalom, und irgendwann erkennst du, dass eigentlich das Fahren an sich das wahre Glück ist. Und so wird der Moment der Rückkunft in Pfronten zum eigentlich traurigsten dieser schönen Tour durch das Allgäu. Weil die hier endet.
Energieeffizent: Susanne sparte Strom, Dirk konnte auch noch lächeln